Sprinzen essen, Sprinzen erhalten

Der Ernst ist ein ganz ein Wilder. Zwar verlangt er für seine Putztücher, Reinigungsmittel oder sonstigen Dienste Millionen und Abermillionen – aber er ist dann halt auch immer im Notfall mit seiner Hilfe greifbar und weiß sogar, wie man das ein oder andere Gläschen fachmännisch leert.

Der Ernst, der ja eigentlich ein Bernhard ist, ist ein ganz ein Guter. Ob er seinen Blaufränkischen keltert oder mit dem Grünen Veltliner spielt – die zwei Klassiker der heimischen Reben sind nicht nur Aushängeschilder des jungen Winzers aus dem Burgenland sondern auch sehr gern empfohlene (und ab und an auch getrunkene) Weintraubentropfen in der Wilderin.

Ernst

Der Ernst ist ein richtiger Ochs. Oder war zumindest einer, bis auch ihm das Schicksal so gut wie jedes männlichen Pustertaler Sprinzen ereilte. Denn die Pustertaler Sprinzen waren und sind noch immer eine sehr gefährdete alte alpine Nutztierrasse. Nachdem aber in der Aufzucht einer neuen Herde viele Kühe, ein glücklicher Stier aber recht wenig Jungstiere benötigt werden, sind die männlichen Nachkommen der drei Mutterkühe am kleinen Arche-Noah Hof der Familie Strasser im Absam schlussendlich für die Küche der Wilderin greifbar. Letztes Jahr durfte Alex die Zwillinge Max und Moritz im Kochtopf in Ehren halten, heuer eben unseren Ernst. Zwar hatte der Ernst nur ein Jährchen, aber dieses wenigstens auf möglichst angenehme, weil artgerechte Art und Weise. Im Winter noch im Stall der Strassers durfte der Jungochs mit den ersten Frühlingssonnenstrahlen die Wiesen rund um den Heimathof abgrasen bevor er zur Sommerfrische auf die Juifenalm abposchte (und unseres Wissens nach dort zu allen Wanderern sehr brav war…) bevor er den – und auch seinen – Herbst in der Heimatgemeinde von Ernst Vettori verbrachte. Merci Ernst, wir werden Dich – natürlich aber so etwas von ernst – in Ehren halten, wie wir es mit all unseren Viechern tun.

Wobei ich persönlich die Pustertaler Sprinzen nicht ganz in das Gros unserer Viecher, nicht einmal in das Gros der Grauviecher, Pinzgauer, Angusrinder oder Fleckviecher werfen kann. Sind die Sprinzen doch, gemeinsam mit dem Murnau-Werdenfelser-Rind, meine persönlichen Geschmacksfavoriten. Grandiose Marmorierung, ausgezeichnet ausgewogener Eisenanteil und hervorragender Biss – Fleischfresser dieser Welt, was wollt ihr noch mehr? Naja, das Kronfleisch etwa, die g‘stutzten Rippen, die Backerl oder was nun mal probiert werden muss: die Fledermaus. Hunger? Verständlich.

Das Allerbeste für uns Fleisch-Gourmands ist aber noch dazu das Wissen, dass man nicht nur ein artig artgerecht aufgezogenes und geschlagenes Tier verschmaust, sondern dass man mit seinem Genuss auch noch dem Erhalt einer schon beinahe in Vergessenheit geratenen und beinahe ausgestorbenen Nutztierrasse der Alpen hilft. Sprinzen essen um Sprinzen zu erhalten? Klingt komisch, ist aber so. Denn nur wenn Arche Noah Bauern wie die Familie Strasser ihre Viecher an den Mann (oder die Wilderin) bringen, nur wenn die Konsumenten (also wir Fleischfresser) das Besondere dieser Tiere schätzen und nur wenn wir uns Jahr für Jahr auf neue Sprinzen freuen, dann kann aus einer bedrohten Nutztierrasse wieder eine vitale Nutztierrasse werden. Ergo tut sich jeder Genießer vom Ernst nicht nur sich selbst was gutes, sondern der gesamten Sippschaft vom Ernstl.

Das ist die Quadratur des kulinarischen Kreises.

Füllt unsere Gläser

Wenn zwei Windsurfer zu späterer Stunde am Ufer des Gardasees zu philosophieren beginnen, ist eigentlich alles verloren. Vor allem da einer der Beiden unser Herr Doktor Schmoll war – und der werte Herr Doktor gerne, viel und noch viel mehr „philosophiert“. Wenn aber sein Gegenüber ein Spross eines kleinen burgenländischen Weingutes war, dann stellen sich Mars, Saturn und Jupiter in die glücksbringende Konstellation, schütten die südlichen Seenixen ihr Glückshorn aus und wachsen auf der Wiese nur mehr vierblättrige Kleeblätter.

Eben weil der liebe Herr Doktor in der Geburtsstunde der Wilderin nicht anders konnte, als seine Lieblingsweine zu empfehlen. Und weil eben seit dieser nächtlichen Philosophiestunde das Weingut Ziniel aus St. Andrä am Zicksee zu den absoluten Lieblingen des Herrn Doktors zählt. Und vom ersten Schluck an auch zu unseren. Eine Vielzahl der wilden Gäste liebt den, die Zeta. Das Potpourri der besten österreichischen Trauben – Zweigelt, Blaufränkisch, Merlot und Cabernet Sauvignon – vereint sich hier zu einem grandiosen süffigen und zugleich geschmackigem rotem Tropfen, der sowohl zum Beef Tartar, zum Kohlrabicarpaccio als auch zu den gstutzen Rippen eine perfekte Figur abgibt.

Ich persönlich habe ja einen anderen absoluten Liebling aus dem Hause Ziniel. Den Grünen Veltliner. Denn auch wenn es komisch klingt, ist dieser jene Grüne Veltliner der typischste GrüVe, den wir bis dato in der Wilderin verkosten durften. Schön leicht, ein wenig spritzig und sogar ein bisschen – wenn auch leider noch immer ein bisschen zu bisschen – pfeffrig. Aber im Unterschied zu den Mitbewerber aus Niederösterreich sind die Ziniels mit ihrem burgenländischen GrüVe näher dran an der Wunschvorstellung als alle anderen. Viel näher. Dementsprechend darf dieser, jener Grüne Veltliner auch unser Hauswein sein – ergo entweder in Gläsern oder Flaschen pur genossen werden oder auch als unser Spritzer – Tschuldigung liebe Tiroler: Weiß-Sauer – die Kehle hinunterflutschen und erfreuen. Weil ein guter Spritzer verdient sich auch einen guten Wein.

zinielAußerdem steht genau dieser Wein so perfekt für das Weingut Ziniel. Kein großer Name. Kein exklusives Irgendwas. Keine Show. Nein, einfach Weinbaukunst der alten – und somit ausgezeichneten – Schule. Was die Familie Ziniel auf ihren knapp 18 Hektar Weinberge Jahr für Jahr in die Flaschen zaubert ist mehr als ein, zwei Schluck Wein. Es sind von A bis Z herkunftstypische Weine, schonende Handarbeit und traditionelle Kellerung die hier ans Tageslicht gelegt – und zu uns in die Gläser gebracht wird. Merci dafür – und für die liebe und nette Art der werten Familie Ziniel sowieso. Kein Wunder, dass der Herr Doktor so gern mit einem der ihrigen philosophiert hat.

Der Werner und seine grauen Viecher

Oft wird die Wilderin gefragt, wie Sie denn ihre Viecher auswählt. Natürlich gibt es heute schon eine immense Vielfalt an Güte- und Qualitätssigeln in der heimischen Fleischproduktion – aber unter dem Strich zählt dann doch einfach das so unbestechliche Bauchhirn von uns.

„Wenn Du schon Fleisch essen willst, dann sei Dir einfach sicher, dass die Viecher ein möglichst schönes Leben gehabt haben, artgerechtes Futter genießen durften und so schnell und schonend wie möglich geschlagen werden“, eine Philosophie, die beispielsweise bei der Jagd nach Hirsch, Reh, Wildsau und Konsorten recht einfach zu erreichen ist – aber auch die heimischen Viehzüchter können hier sehr gut mithalten. Bestes Beispiel: Der Hof von Werner Bankratz in Imst-Gunglgrün. Im Sommer dürfen seine rund 20 Grauviecher die Sommerfrische am Hahntenjoch samt Höhenluft, Almkräutern und völliger Freiheit genießen. Im Winter gibt‘s Werner‘s Stall samt tierischem Wintergarten, eigener Sonnenterrasse, in Eigenregie und ohne Kunstdünger produziertem Heu und die Aufmerksamkeit von Werner und seiner Familie.

bankratzUnd genau diese Aufmerksamkeit ist es, die das Bauchhirn so richtig berührt – somit auch dem Kopfhirn vermittelt: Diese beruht auf Gegenseitigkeit. Wenn Werner seinen Stall betritt, seine Viecher besucht – dann suchen die Kälber, Jungviecher und Muttertiere von sich aus den Kontakt zu ihrem Bauern, holen eine Streicheleinheit ab oder nutzen die menschliche „Salzquelle“ und stellen so eindrucksvoll klar, dass es ein so wichtiges Zusammenleben gibt.

Die Viecher von Werner Bankratz sind eben „seine“ Viecher und können ein dementsprechendes Leben führen. Ja, sie kommen auf die Welt und werden umsorgt um später geschlachtet und zu feinstem Rindfleisch verarbeitet zu werden. Aber wie es sich im Grunde genommen überall gehört bedeutet dies nicht, dass unsere Nutztiere zu anonymen Nummern in einem industriellen Betrieb bis hin zur Schlachtbank geführt werden müssen – nein, im Gegenteil: Lasst die Viecher ihr ganzes – wenn auch hie und da kurzes – Leben wirkliche Viecher sein. So und nur so kann Fleischgenuss mit gutem Gewissen angegangen werden.

Und weil für den gewünschten Fleischgenuss die Viecher auch irgendwann geschlagen werden müssen gibt es hier noch ein weiteres Sternchen in Werner‘s Mitarbeitsheft. Dank der Investition in einen eigenen Schlachtraum erfüllt Werner Bankratz unseren – und hoffentlich nicht nur unserem – Wunsch nach einem schnellen, schonenden und stressfreiem Schlagen der Viecher in Perfektion. Keine 20 Meter neben dem Stall befindet sich der Schlachtraum und somit ist es – bevor der jeweilige tierische Kandidat weiß was los sein könnte – schon vorbei. Aus Werners Viech wurde unser Fleisch.

Ein Fleisch, das wegen all diesen Parametern der Aufzucht, des Umgangs und des Endes moralisch einwandfrei ist. Ein Fleisch, das aber noch dazu lukkulisch einfach in einer anderen Sphäre ist. Hier zeigt sich – egal ob es unsere Biggy, unsere Gundl, unsere Wanda oder wer es auch noch immer war – dass artgerechte Rinderzucht nicht nur für die eigene Moral ein Traum ist. Sondern vor allem auch für den Gaumen. Sorry für eine jetzt eventuell leicht aufkeimende starke Selbstsicherheit: Dass diese Viecher besonders gut schmecken finden nicht nur wir – auch die Genießer von den gstutzen Rippen, der Lungenstrudelsuppe, des gegrillten Rindernackens oder der T-Bones haben ihre Teller aber so etwas von ratzeputz leer gegessen, dass unser Bauchhirn uns signalisiert hat: Werner‘s Grauviecher sind was Besonderes.

Biopioniere im Oberland

Ein Besuch beim Hof der Familie Glatzl in Haiming ist mit Vorsicht zu genießen. Zu altehrwürdig ist das Bauernhaus, zu tief die Türrahmen, zu groß der Schmerz am Kopf beim wieder einmal unvorsichtigem Eintritt ins Hause der Oberländer Biopioniere. Schon in den frühen 80er Jahren hat sich die Familie Glatzl der Biolandwirtschaft verschrieben – und es ist sich nicht allzu schwer vorzustellen, wie mutig es für einen so traditionsreichen Hof war, in dieser Zeit, in dieser Umgebung auf Bio umzustellen.

glatzl

Aber die Familie Glatzl ist sich von Anbeginn treu geblieben – zum Glück und vor allem mit Erfolg. Heute ist nicht nur der Hof im Ortszentrum ein Aushängeschild für moderne, weil nachhaltig biologische Landwirtschaft – am Ortseingang begrüßt der neu errichtete Hofladen und zeigt, dass auch hierzulande Direktvermarktung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und eigenen Produkten zum Erfolg führt.

Der Wilderin hingegen sind die Glatzls aus einem anderen Grund ans Herz gewachsen. In der Anfangszeit der Wilderin hat sich mehr und mehr noch die letzte Lücke im regionalen, saisonalen und nachhaltigem Lieferantennetzwerk geschlossen – bis auf die großen Brocken Mehl, Getreide und Reis. Während letzteres mittlerweile – so weit wie wir bis dato in Erfahrung gebracht haben aus Mangel an Tiroler Alternativen – von Demeterbauern in Niederösterreich bezogen wird, gab der liebe Hansjörg Haag – seines Zeichens Produzent der, unserer Tiroler Edlen – den entscheidenden Hinweis: „Ich hab mal was gehört von Bauern, die irgendwo in Richtung Ötz noch eine wasserbetriebene Mühle nutzen…“ Eine kleine Odysse, mehrere interessante Telefonate später war die Familie Glatzl gefunden – und ist seitdem fix gebucht.

Ja, sie bauen ihr Getreide im biologischen Anbau rund um Haiming an. Ja, sie schroten ihr Getreide in einer restaurierten Mühle. Ja, diese ist wasserbetrieben. Ja, sie wissen, was sie für ihre Produkte verlangen müssen. Ja, dieser Preis wird gerne bezahlt. Denn seien wir uns ehrlich. Wenn ein Kilo Industriemehl einen Euro kostet, ein Kilo des Glatzl Mehls etwas mehr als das doppelte – wer außer einer Großbäckerei, Brauerei oder sonstigen Großabnehmern muss da groß rechnen? Oder wie kommentiert‘s der Internetbauer Hons Petutschnig so treffend: Für 250 ml Zuckerenergiesaftl zahlen die Leut drei Euro, für einen Liter Milch wollens nix zahlen…

 

Eine Anleitung zum haptischen Genuss

Der große Herr Knigge ist sich beim Einsatz der zehn Finger am Tisch nicht ganz sicher: Hühnerflügel dürfen per Hand abgenagen werden, bei der Keule entscheidet die Sauce bzw. die Beilagen über die Möglichkeit des Weglassens von Messer und Gabel. Das Schweinekotelett in Richtung Knochen darf am Volksfest mit Genuss abgenagen werden, in der feinen Runde muss das Beste vom Besten – das Fleisch am Knochen entweder mühsam und zumeist erfolglos mit dem Messer bearbeitet oder zurückgelassen werden. Welch eine Schande – deswegen stellt die Wilderin klar: hier darf – in manchen Fällen muss – einfach auf die sogenannten „guten Sitten“ vergessen werden. Hier darf in aller Einfachheit zu einem der schönsten Genüsse zurückgefunden werden: Der Haptik beim Essen.

haptik

1.) Was geht? Eigentlich alles wo ein schöner Knochen mit dabei ist, oder das Essen in guter alter Tradition des Earl of Sandwich zwischen zwei Brotscheiben, Burgerbuns oder sonstigem Gebäck gepackt wurde – um eben in aller Einfachheit mit den zehn angeborenen Essensfangern eingesammelt werden zu können.

2.) Was geht nicht? Schwer zu sagen – man will den haptischen Genuss ja nicht verbieten. Aber es wird schon einen Grund gehabt haben, warum Messer, Gabel & Löffel einst nicht nur erfunden wurden, sondern sogar einen beachtlichen Siegeszug angetreten haben. So aus dem Bauch heraus also gach: Suppen, Pasta, Gulasch und Co. Oder anders gesagt, eventuell alles, wo sich unsere Küchencrew neben Fleisch oder Gemüse auch noch die ein oder andere Beilage überlegt hat, die eben am Besten schmecken, wenn Sie nach eigenem Ermessen auf der Gabel gemischt – und wahrscheinlich auch mit einem guten Saftl vermengt – genossen werden.

3.) Was geht gar nicht? Ganz ehrlich? Einen Burger mit Messer und Gabel zu essen. Dito ein Sandwich. Diese Gerichte sind deswegen erfunden worden, um sie mit den Fingern zu essen – alles andere ist nicht im Sinne des Erfinders. Ich mein, auch einen Ferrari baut man nicht zu einem lautlosem Elektromobil um, um damit in der verkehrsberuhigten Zone die Kinder in die Schule schupfn zu können. Und wenn man keinen Burger in die Hand nehmen will, kann man ja noch immer ein Fleischlaberl mit Salatbeilage, Sauce und einem Stück Brot bestellen.

4.) Die Faszination der Knochen. Knochen sind ein ziemlich ähnliches Thema wie Burger, Sandwich und Co. Ganz ehrlich: Wer träumt nicht davon eine gegrillte Wildsau in aller gallischen Hingabe wie unser lieber Obelix zu fressen (sorry, ein anderes Wort dafür gibt es nicht). Mag vielleicht nicht gerade die feine englische Art sein – aber nochmal: Wer träumt davon nicht. Und auch wenn ein Kotelett, eine Hendlkeule, ein T-Bone oder eine Wachtel nicht ganz eine ganze Sau sind: Nur mit der Zuhilfenahme der eigenen Finger kann jedes noch so zarte, verführerische und geschmacklich grandiose Fleischstückerl auch wirklich erwischt werden. Also: Bitte keine Scheu.

5.) Was mach ich mit meinen – dann doch ein wenig angepatzten – Fingern? Nein, es muss nicht dass Frischetuch mit irgendeiner dubiosen Reinigungschemie sein – wie wäre es zum Anfang mal mit genüsslichem Abschlecken der eigenen Finger? Immerhin ist ja dieser Genuss, nach dem Genuss des haptischen Essens, die letzte Krönung. Und wenn es so ein Genuss ist – warum darauf verzichten? Dann hilft auch noch die Serviette viel und wenn man sich dem haptischen Essen so sehr hingegeben hat, dass beides nicht hilft – dann würde auch kein Reinigungstüchlein helfen, dann ab zum Wasserhahn und brav waschen.

6.) Stört das haptische Essen niemanden? Mag sein. Aber ist ein Ort, an dem wirklich genüssliches, mit allen Sinnen angegangenes Essen nicht zelebriert sondern mit Achtung geschmäht wird, wirklich ein Ort des Genusses? Eben – oder in anderen Worten: Was stört‘s die – haptisch ihr Essen genießende – Eiche, wenn sich die – rein auf Stil bedachte – Sau an ihr reibt? Sorry Herr Knigge: Genuss schlägt Etikette.

7.) Vertraut dem eigenen Instinkt. Kinder und Besoffene sagen immer die Wahrheit. Ergo auch beim Essen: Ob Kindergeburtstag oder der Herr, die Dame mit ein paar Bierlein zu viel – gerne, nur allzu gerne wird hier auf Messer und Gabel vergessen. Weil es einfach die ursprünglichste Art zu Essen ist. Hier fühlen wir uns sicher, hier steht einfach nur der Genuss ohne Regeln im Fokus der Aufmerksamkeit (bei Zweiteren vielleicht auch der promillegestützte Heißhunger…)

Das Tartar

Pfu – jetzt werden wir fix bald mal geschumpfen. Aber Stillstand ist nicht so unsere Sache – wir müssen immer etwas Anderes, etwas Neues probieren. Seit guten 12 Jahren war das Beef Tartar in der Wilderin das Beef Tartar in der Wilderin – gach mal in den Größen ein bissl abgewandelt, aber ansonsten immer gleich. Und somit irgendwann schwer fad für uns. Also haben wir das „klassische“ Beef Tartar der Wilderin in’s Reich der Erinnerungen verfrachtet. Aber dafür geht es natürlich gleich mit dem Neuen los. Wieder mit einem Tartar – aber diesmal ein bissl anders, ein bissl mehr wir, ein bissl mehr Wilderin.

Für’s Protokoll: Es gibt jetzt tagtäglich bei uns immer feinstes Tartar auf der Karte. Aber – und das ist wieder einmal ein großes Aber – das hocherwürdige Fliegende Spaghettimonster hat unseres Wissens nach nirgendwo festgehalten, dass es ein undiskutierbares Recht darauf gibt, dass das Tartar immer vom Beef, also in dem Fall von der Kuh ist. Ja, es mag die Tartar-Fetischisten zur Heugabel greifen lassen, aber sorry, auch ein Tartar von den Paradeiser Raritäten unserer freakischen Gemüsebauern ist ein genauso lukkulischer Zungenschnaller wie das Tartar vom Wildfang Egli von unseren bayrischen Berufsfischern einfach nicht nur den Gaumen kitzelt, sondern ihn mit geschmacklicher  Rafinesse voll und ganz vereinnahmt.

Langer Worte kurzer Sinn: Wir sehen im Tartar ab sofort mit unseren Küchenmessern kleingeschnittene Zutaten. Egal welche – weil wir ja von all unseren Zutaten wissen, dass sie nicht nur mit hoher Handwerkskunst verkocht geschmacklich begeistern, sondern eben auch möglichst puristisch als Stand-Alone Darsteller am Vorspeisenteller brillieren. Simplify and add lightness eben.

Bevor die Fleischfresser jetzt jedoch zur endgültigen Revolution aufrufen noch kurz eine Anmerkung. Neben all dem grandiosen Gemüse, den wilden Wildfangfischen dürfen wir ja auch noch auf das ein oder andere Viecherl unserer Bauern zurückgreifen.

Ob die alten Kühe. All diese wunderbar gewachsenen, einige Zeit schon leer gestandenen, rund gewachsenen, sorgsam zum Metzger gebrachten und brav abgehangenen Mutterkühe.

Ob das Wild. Vom zarten Hirschkalb über die populationstechnisch wirkungsvoll reduzierenden Tiere bis hin zur neuesten Entdeckung – dem Feisthirsch im 15ten Kopf.

Ob all das andere. Unsere Lämmer. Unsere Enten. Unsere Schweindl. Unsere Gansl. Unsere Kalbinnen. Unsere Hendl.

Und natürlich auch das ein oder andere süsse, kleine Baby-Pferd.

Ihr könnts die Revolution ergo absagen – na no na ned wird all diese fleischige Vielfalt, all dieser unbeschreibliche Umami-Geschmack, all diese perfekten Viecher hier im hier und im jetzt und auch in Zukunft zu einem Tartar verarbeitet. Und das Ganze mal ohne großen Schischi-FuFu sondern simpel. Salz; Pfeffer; Distelöl; Verjus. Gach mal ein Dottet dazu und ein Stückerl Brotschmiede-Sauerteigbrot. Braucht’s mehr? Wir finden nicht.

Ok. Vielleicht noch eine Sache. Das Beef Tartar der Vergangenheit war das einzige Fleisch welches wir von einem grandiosen Metzger, dem lieben Thomas von der Klamm 80b in der Leutasch zugekauft haben. Grandioses Fleisch – aber halt eben nur Teile von Viechern. Nicht unsere Viecher. Ab sofort ist jedes einzelne Tartar oder besser gesagt das Viech, das Gmias oder auch der Fisch wie bei all unseren anderen Sachen, die wir so auf den Teller knallen von A bis Z einfach bekannt. Wir kennen die Höfe, die Viecher, die Bauern, die Felder, die Ställe, den Wald. Wilderin-Style halt. Unser Tartar halt.

Wo die netten Leute schaffen

Die wohl mit Abstand beste Botschafterin für die Fischereiverrücktheit der Familie Huber im schönen St. Heinrich am Starnberger See ist Haus- & Hofhündin Lea. Am Trockenen mit einer solch stoischen Ruhe ausgestattet, dass der Tierliebhaber in einem sich schon Sorgen macht, dass der letzte Schnaufer der zotteligen Hündin nicht mehr allzu fern sein kann. Öffnet sich die Tür zum Fischerhäusl am Südufer des Starnberger See jedoch nur einen Millimeter ist es Aus, Schluss und Vorbei mit der tierischen Ruhe. Dann geht der Vierbeiner ab wie ein junger Bock, Schnauze rechts ins Wasser, Schnauze links ins Wasser, ab ins Boot, raus aus dem Boot, Schnauze rechts ins Wasser und so weiter und so fort. Immer mit der tierischen Hoffnung auf Fischereierfolg. Völlig irre. Völlig verrückt. Völlig grandios.

Die Fischerin und Lea

 

Lea passt sich somit in die altehrwürdige Tradition der Fischereiverrücktheit der Familie Huber an. Seit sieben Generationen werfen die Hubers die Netze in den süßen Gewässern aus und erhalten somit nicht nur eine der wichtigsten alpinen Traditionen am Leben, sondern versorgen uns, versorgen alle Fischgourmets und -gourmands der Umgebung mit einzigartigen Fischprodukten. Eglifilet? Kein Problem, wenn der See dem Fischer gewogen ist, dann bringt Susi Huber die schwimmenden Schätze ins Trockene. Renkenrogen, Hechtbackerl, Karpfenfilets, Aalrutte oder was weiß ich was noch im Starnberger See schwimmt – die Fischereifamilie Huber geht jahrein, jahraus, bei Sonnenschein oder Minus 11 Grad und Sturm von vorne auf den See und füllt die Netze. Begeistert jeden Kücheneinkäufer, und begeistert passionierte – aber viel zu oft erfolglose – Hobbyfischer noch mehr.

Was einen am Südufer des Starnberger Sees aber wirklich das Herz öffnet, sind die Hubers selbst. Um die charmante Einzigartigkeit der Fischereifamilie wirklich erleben zu dürfen, muss man nicht mit Ihnen auf den See hinaus fahren oder ihre Fische verspeisen – nein am allerbesten ist es, rund um die Mittagszeit aufzutauchen und drei Generationen versammelt in der Küche zu finden, wo am, im und rund um den Gasherd mal für mal die entzückendsten Schmankerl für den Familientisch zubereitet werden. „Heut gibt‘s Pferd“ wird als Begrüßung bei der Lasagne zugerufen, dann werden die Restl von Susi‘s Geburtstagspanferkel aufgetischt und das nächste mal die eigenen Fische im Gemüsebeet geschmort. Nach mittlerweile mehr als ein Dutzend Besuchen bei den Hubers gab‘s insgesamt mehr als ein Dutzend schöne Ideen zur Mittagsstund und jedes einzelne Mal das untrügliche Gefühl, dass hier ganz, ganz, ganz nette Menschen leben und schaffen. Denn wo in einer solchen familiären Generationsgeschlossenheit jeder Tag genossen – und zum Glück auch immer ein wenig blöd geredet – wird, kann man sich einfach nur wohlfühlen. Auf den nächsten Besuch, ich freue mich…

Ideenstifter

Bis vor wenigen Jahren war das Tumult-Gesöff hierzulande noch auf zwei ganz besondere Vertreter beschränkt: Der grandios abartig zu trinkende „Inländer-Rum“, der dementsprechend selten den Weg ins Glas, sondern vielmehr den Weg in die Kuchen dieser Alpen gefunden hat, und der nicht wirklich merkbar feinere zu süffelnde Bacardi – dementsprechend meist mit Coca Cola oder Orangensaft gestreckt. Rum hatte nicht wirklich den leichtesten Stand in heimischen Bars, ein Umstand der sich mittlerweile aber so etwas von Hallo geändert hat.

Rum ist der neue Whiskey, der Ron Zacapa ist der neue Lagavulin… Eigentlich das Ende der neuen Rum-Geschichte – wäre im Universum der bernsteinfarbenen Tropfen aus den wärmeren Gefilden unserer Welt nicht eine galaktische Vielfalt an Geschmäckern, an Duftnoten, an Gefühlen und Geschichten vorhanden. Rum ist eben nicht der neue Whiskey. Rum ist Rum. Und der allerseits beliebte – und zu Recht hoch geschätzte Ron Zacapa – ist eben nur ein Vertreter dieser so grandiosen Spirituosen.

Rum

Einer persönlicher Favorit ist und bleibt Dank der unvergesslichen Empfehlung von Mademoiselle Neli der Großvater Ron Abuelo aus Panama. Karamellig wie ein frisches Manner-Stollwerk, so ausgewogen im Alkohol, dass sowohl Sanftheit als auch Punch an den Tag gelegt werden und somit der perfekte Begleiter um die grauen Zellen genussvoll an die Schönheit Mittelamerikas abschweifen zu lassen.

Aber rund um den Großvater, der die Wilderin seit Anbeginn begleitet, eröffnet sich mehr und mehr die gesamte Galaxis der Geschmackszuckerl der diversen Rum-Sorten. Von der rauchigen Note des Ron Santiago aus Kuba über den freakischen, weil kletzenbrotartigen Prohibido aus Mexiko bis hin zu den fein-alkoholischen Zuckerrohrgeschmäckern des Santa Teresa aus Venezuela (u been?) gibt es mehr als nur einen verführerischen Ausflug in die süße Welt der Rums (klingt komisch, stimmt aber…). Und natürlich nicht zu vergessen die zweite Seite der Medaille – der nicht melasse-stämmige Rum aus den französischen Übersee-Départements wie der Penny Blue oder, der nicht nur durch seine andere Machart, sondern auch durch seine grandiose Alkoholqualität begeistert, entzückt, verführt. Oder der aktuelle Favorit an meinem Gaumen, der Ron Aldea – ein Rum, ein Jahrzehnt, ein Fass. Passt.

Wobei, obacht! Rum ist kein schnelles, kurzes Vergnügen (was der ein oder andere wohl schon am eigenen Leib erfahren durfte), Rum ist Ruhe und Genuss. Hier wird nicht ein Shot nach dem anderen geleert, hier wird ähnlich der gemütlichen Hingabe an eine Zigarre genossen. Lang genossen. Vielfältig genossen. Unvergleichlich genossen.

Beauty

Ich weiß, ich eck jetzt mit Sicherheit bei dem ein oder anderen so richtig schön an. Eben weil hier jetzt ein paar Zeilen dafür aufgewandt werden, eine moralisch ein wenig umstrittene Fleischart auf den Teller zu bringen. Es geht um das Pferd, schlimmer noch das Fohlen und noch dazu vom Haflinger. Reiter, Kinder, Tierfreunde und wohl noch ein paar mehr werden jetzt gleich mal die Hände über dem Kopf zusammen schlagen und mich und meine Gourmand-Kollegen verteufeln. Wie kann man bitteschön überhaupt Haflingerfohlen essen?

Ziemlich gut. Sowohl moralisch als auch lukkulisch.

Egalité

Zuerst zum moralischen. Ein junges Wildschweindal ist wohl eines schnukkeligsten Geschöpfe im Wald – und ebenso am Teller. Ein Kalb, eine Kuh, ein Ochs – alles richtig charmante Viecher, die aber genau so gut schmecken wie sie aussehen. Und unsere Almschweindal haben sich beim Besuch auf der Stoankasern Alm heftig ins Herz der Mädls der Wilderin gegrunzt – und werden dennoch im Herbst zu allerlei Köstlichkeiten verarbeitet. Warum sollte also das Fohlen nicht auch verschmaust werden? Eben, lieb sind alle Viecher und so lange sie ein schönes Leben und einen schnellen Tod gehabt haben, darf der Fleischesser diese auch getrost verspeisen (nein, ich starte jetzt hier keine Veganer-Vegetarier-Fleischfresser-Diskussion…). Also sorry liebe Pferde – in der Wilderin hab‘t ihr keine Sonderstellung, auch ihr werdet wie Eure Kollegen in vollen Zügen von uns genossen, geschätzt, zelibriert, verspeist.

Vor allem auch deswegen, weil ihr lukkulisch ganz weit oben steht. Eine zarte Fleischtextur die an Kalb erinnert, ein ehrlicher Fleischgeschmack der sich sehr nahe am Rind zeigt – quasi die Quadratur des kulinarischen Kreises. Hinzu kommt, dass die alpinen Pferde, eben meist Haflinger, nicht in großen Massen gezüchtet werden, sondern von den kleinen Höfen als „Nebendarsteller“ ganz in Ruhe ihr eigenes Futter auf der Wiese & Alm suchen dürfen und somit die wichtigste geschmackliche Grundvoraussetzung mit sich bringen: Ein naturnahes Leben, ein schönes Leben garantieren grandiosen Geschmack am Teller.

Zum Schluss gach noch was grundsätzliches, was ich mir von der anderen Seite des Globus abgeschaut habe: Man kann alles essen, dessen Wirbelsäule nach oben schaut – oder noch besser „Gegessen wird alles, was vier Beine hat und kein Tisch ist; was fliegt und kein Flugzeug ist oder schwimmt und kein U-Boot ist.“ Man muss nur wissen, was es ist und vor allem wo es herkommt. Ich weiß es bei unserem Haflingerfohlen aus Navis – und freu mich schon wahnsinnig auf die Lasagne. Vom Pferd. Vom Haflinger. Vom Fohlen.

Her mit der Kreativität

Los geht‘s ab 3 Euronen und 49 Cent pro Kilogramm. Wir sprechen leider mal über den harten Stand von Faschiertem im gastronomischen Universum. Draußen, im Handel liegen die schön in gasgefüllter Kunststoffschale verpackten kleingehäckselten Fleischteile und verleihen somit dem urtypisch, österreichischem Faschiertem einen Billigst-Beigeschmack. Billiger geht‘s eigentlich nimmer.

Doch, wenn das Faschierte gleich von der Lebensmittelindustrie zu „Essen“ verarbeitet und so als Fertigsugo, Laberl, Burgerfleisch oder Lasagne um 1,98 Euro pro Portion unter die Massen gebracht wird. Wobei hier nicht erst seit letzter Zeit ein wenig berechtigte Unsicherheit mitschwingt, wie die Grundzutat einst einmal geklungen hat. War es wirklich ein Muuh und/oder Oink, Oink oder doch eher ein dezentes I-Aaaah, Wiehern oder gar Wuff-Wuff? Keine Ahnung, denn ohne Wissen, was oben in den Faschierer reinkommt, kannst nie und nimmer erahnen, was am Ende als Faschiertes vor Dir liegt. Blöder geht‘s eigentlich nimmer.

All jene, die sich jetzt ein wenig fragen warum meinereiner hier jetzt über das scheinbar Billigste vom Billigstem Zeit und Zeichen aufwendet, den muss ich kurz auf eine kleine historische Reise als jfs mitnehmen. Einst, als das erlegte Wild noch nicht von der Wilderin konfisziert wurde, durfte der Jäger bei der Verwertung des Wildbrets selbst Hand anlegen. Und ja, die ersten Rehe wurden brav in Rückensteaks, Filets, Schnitzel, Jus und eben kleingeschnittene, fein geputzte Fleischteile für das Ragout und Gulasch verarbeitet. Aber schon beim ersten wilden Schweindal war es aus mit der akribischen Verwertung von kleinteiligen Fleischstücken. Weil a) Gulasch und Ragout vom Wild zwar Bombe sind, aber bei einem 45 Kilo Notsch-Notsch sich irgendwann Wiederholungsgefahr am Teller zeigt, b) auch die Zerwirkarbeit Arbeit ist und nach einer Woche in ostdeutschen Wäldern Couchfreuden über Küchenarbeit siegt und c) Faschiertes – gutes wohlgemerkt – mehr, vielmehr ermöglicht. Abwechslungsreicher geht‘s eigentlich immer.

Fleischsugo, Polpetti, Laberl, Burger, Lasagne, Krautrouladen, Cevapcici, Frühlingsrollen – schon alleine der Jäger am Herd konnte vom Gulasch & Ragout ausgehend eine lukullische Vielfalt auf den Teller bringen. Jetzt darf mal kurz geraten werden was passiert, wenn nicht der Pseudo-Hobbykoch den Löffel schwingt, sondern die zumeist charmanten aber auch immer verrückten Vollblut- & Vollprofiköche in der Wilderin am werkeln sind… Jackpot! Da gibt‘s dann auf jeden Fall noch ein bisslerl (sic!) mehr an Ideen, an Rezepten, an Kreativität und somit an neuer Wertschätzung für das Faschierte. Nur so geht‘s wirklich.

faschiertes

Faschiertes ist eben keine billige Verwertung von minderwertigem Fleisch – ein Tier hat kein minderwertiges Fleisch. Selbst gemacht eröffnet Faschiertes  vielmehr die Möglichkeit, alle Teile von einem, dem einem wohlbekannten Tier in  abwechslungsreicher Art und Weise zu verwerten. Ergo die Vielfalt an nahrhaften Teilen von einem Tier ebenso vielfältig zu genießen. Und genau darum geht‘s.